Starthilfe in eine neues Leben

Viele Kinder und Jugendliche können heute den Krebs besiegen. Um sie nach ihrem 18. Lebensjahr optimal weiterzubetreuen, bietet das UCCH ein einzigartiges Nachsorgeprogramm an, das auf die speziellen Bedürfnisse dieser Patientengruppe eingeht.



Mit 18 Jahren steckt man voller Pläne. Auch Jette Lüdersen, die im Frühjahr ihr Abitur bestand und sich fest vorgenommen hat, Medizin zu studieren. Dass die lebensfrohe junge Frau mit den strahlend blauen Augen in den letzten 24 Monaten selbst gegen den Krebs kämpfte, sieht man ihr kaum an. Im Mai 2014 erhält sie in der Kinderklinik des UKE die Diagnose Akute Lymphoblastische Leukämie. „Mein erster Gedanke war: Jetzt ist alles vorbei“, erinnert sie sich. Schule, Freunde, Reiten, kurz: das Leben. Doch die Kinderonkologen machen ihr Mut und Jette entscheidet, dass sie es schaffen will. Es folgen sieben Monate intensiver infusionsbasierter Chemotherapie, die sie teils auf Station, teils zu Hause verbringt. „Auch wenn es sehr schwere Momente gab, fühlte ich mich in der pädiatrischen Hämatologie stets gut aufgehoben“, sagt Jette. Besonders der herzliche Kontakt zu den Pflegenden und den Ärzten gab ihr die nötige Kraft.

Heute gilt Jette als geheilt, wird aber als junge Erwachsene im Tumor-Nachsorgeprogramm „Care for AYA“ (AYA für Adolescent and Young Adults) des Universitären Cancer Centers weiterbetreut. „Unsere AYA-Sprechstunde basiert auf dem Anspruch, dieser besonderen Patientengruppe eine koordinierte und umfassende Nachsorge mit festen Ansprechpartnern in einem interdisziplinären Team anzubieten“, erklärt Priv.-Doz. Dr. Alexander Stein, Ärztlicher Koordinator des UCCH. Gerade in den ersten fünf Jahren nach der Therapie sei eine lückenlose, multiprofessionelle Betreuung notwendig, so Dr. Stein.

Neu im UCCH: Jette Lüdersen (r.) mit Priv.-Doz. Dr. Escherich (Mitte) und Dr. Quidde
Lupe zum Vergrößern des Bildes

Neu im UCCH: Jette Lüdersen (r.) mit Priv.-Doz. Dr. Escherich (Mitte) und Dr. Quidde
AYA-Sprechstunde und Medizin-Check bei Barbara Koch (l.)
Lupe zum Vergrößern des Bildes

AYA-Sprechstunde und Medizin-Check bei Barbara Koch (l.)
AYA-Board: Einmal monatlich treffen sich Mediziner, Psychologen sowie Sport- und Ernährungsberater zu Fallbesprechungen
Lupe zum Vergrößern des Bildes

AYA-Board: Einmal monatlich treffen sich Mediziner, Psychologen sowie Sport- und Ernährungsberater zu Fallbesprechungen


Rundum versorgt

Vor drei Jahren wurde die AYA-Sprechstunde am UCCH ins Leben gerufen. Die Ärztinnen Dr. Julia Quidde und Barbara Koch versorgen hier ehemalige Krebspatienten im Alter zwischen 18 und 39 Jahren. „Insbesondere der Übergang in die Erwachsenenmedizin ist ein kritischer Punkt in der Versorgung, an dem die kontinuierliche Betreuung häufig abreißt und patientenspezifische Informationen verlorengehen“, erläutert Dr. Quidde, die Leiterin des Programms am UCCH. Dabei stellten Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die teils in sehr jungen Jahren eine Krebserkrankung durchmachen mussten, sowohl körperlich als auch psychosozial eine besonders gefährdete Patientengruppe dar. Zwei von drei AYAs entwickeln therapiebedingte Folgeerkrankungen wie chronische Schmerzen, Erschöpfungszustände, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Depressionen. Auch soziale Probleme wie die Reintegration in Schule oder Berufswelt treten häufig auf.

Um diesen jungen Menschen eine einheitliche Versorgungsstruktur anzubieten, haben die Mediziner des UCCH und der Pädiatrischen Hämatologie des UKE das umfassende Präventionsprogramm „Care for AYA“ geschaffen, zu dem auch die Sprechstunde gehört. Das Besondere: Neben der medizinischen Nachsorge enthält das Programm ein multiprofessionelles Beratungs- und Interventionsangebot in den Bereichen Ernährung, Sport und Psychosoziales. „Verbesserungen des Lebensstils haben nachweislich einen positiven Effekt auf Langzeitfolgen“, betont Dr. Quidde. So zeigen Studien bei erwachsenen Krebsüberlebenden, dass eine gesunde, ausgewogene Ernährung sowie regelmäßige körperliche Aktivität das Risiko für bestimmte Folgeerkrankungen reduzieren können. Zum AYA-Team des UCCH gehören neben den Ärzten eine Ernährungsberaterin, eine Sporttherapeutin sowie ein Psychoonkologe. „Stellen wir im Rahmen unserer Sprechstunde fest, dass ein Patient in bestimmten Bereichen Unterstützung benötigt, bieten wir ihm direkt im Anschluss ein Beratungsgespräch mit einem Fachkollegen an“, erläutert Barbara Koch. Um jeden Patienten kontinuierlich im Blick zu haben, trifft sich das multiprofessionelle Team zudem einmal monatlich zum sogenannten CAYA-Board (Children and AYA) und bespricht aktuelle Fälle.


Netzwerk spannen

Den Erfolg des neuen Versorgungsprogramms zeigen erste Erhebungen. Bereits nach einer dreimonatigen Ernährungsberatung im UCCH stieg die Rate junger Erwachsener mit gutem Essverhalten von vier auf 50 Prozent an. Im nächsten Schritt plant das Care-for-AYA-Team, die neue Struktur in 13 anderen regionalen AYA-Zentren zu implementieren. „Es geht uns darum, bundesweit ein Netzwerk spezialisierter Anlaufstellen zu spannen, um junge Menschen nach überstandener Krebserkrankung optimal zu betreuen“, erklärt Dr. Quidde. Zurzeit finanziert sich das Programm aus Drittmitteln der Stiftung Deutsche Krebshilfe. „Unser Ziel ist die Überführung in eine Regelversorgung“, so Priv.-Doz. Dr. Stein. Eine auf drei Jahre angelegte Studie soll die Effizienz des Programms untermauern.

Jette freut sich, das Programm bereits heute nutzen zu können. Nächstes Jahr kehrt sie in die Kinderklinik zurück – nicht als Patientin, sondern für ein Pflegepraktikum, um die Medizin aus der anderen Perspektive kennenzulernen.

  • Auf einen Blick
  • Auf einen Blick

    Chance auf Heilung

    Jedes Jahr erkranken rund 1800 Kinder an Krebs. Am weitesten verbreitet sind Hirntumoren und Leukämien (25 bis 30 Prozent), gefolgt von embryonalen und Knochentumoren. Die Heilungschancen haben sich dank moderner Therapieverfahren in den letzten 40 Jahren mehr als verdoppelt, sodass heute etwa 70 Prozent der Kinder ihre Krebserkrankung überleben. Ziel des Präventionsprogramms „Care for AYA“ ist es, körperliche und psychosoziale Spätfolgen, die mit den Therapien einhergehen können, mithilfe einer gezielten Nachsorge einzudämmen.

Text: Nicole Sénégas-Wulf

Fotos: Claudia Ketels und Axel Kirchhof